„Ein Römerlager in Hiddenhausen?“ Ein interessantes Thema für einen Vortrag, das hier bereits früher einen Hinweis wert war. Also auf nach Bielefeld … 19:20 im Stadtarchiv. Der Saal ist leidlich gefüllt, der Beamer zeigt das folgende Bild:
Kleine Überraschung … falscher Film? Gibt es noch einen Vortrag? Nein, gibt es nicht, und so war der erste Teil des Vortrags nur mit viel Gleichmut erträglich, denn hier referierte ein echter Kalkriese-Apologet. Gleich zu Anfang wurde eine Fixierung auf Münzen deutlich, die auch später noch eine Rolle spielte. Trotz allem gab es auch in diesem Abschnitt ein paar nützliche Hinweise. Vermisst wurden Argumente für Kalkriese. Das ganze gipfelte stattdessen in dem Argument, die Gegner von Kalkriese könnten schließlich nicht beweisen, dass Kalkriese nicht der Ort der Varusschlacht sei. Das muss man nicht weiter kommentieren.
Anderes ist aber durchaus einer Bemerkung wert. Der Vortragende Heribert Genreith lässt nur Cassius Dio gelten, also die Quelle mit dem weitesten Abstand zum Geschehen, die auf den Senatsakten basiert, die – so die Aussage von Cassius Dio selbst – seit dem Beginn der Kaiserzeit gefälscht wurden. Was für eine sichere Basis! Was ist mit Paterculus, mit Florus und mit Frontinus? Auch aus Tacitus Annalen lässt sich zumindest indirekt etwas folgern! Und diese Quellen besagen alle etwas anderes als das, was Dio schreibt.
Egal! Es folgt also die übliche Marsch-Theorie, am Ende landet man in Kalkriese. Wohlweislich geht der Vortragende nicht auf die Situation vor Ort ein mit Ausnahme der Knochengruben, die nun mal kein Tumulus sind, trotzdem aber Kalkriese als einziges kompatibel zur Varusschlacht machen sollen. 100 Meter Wall mit einigen wenigen Kampfspuren, einige wenige nachbeerdigte Leichenreste, dass muss in Kalkriese für die Varusschlacht herhalten. Aber die Münzen … die Münzen … die Münzfunde passen auch nicht wirklich zu einem Schlachtgeschehen, das hat Höfer deutlich heraus gestellt. Auch Genreith nennt den Kalkrieser Münzhorizont „zivil“. Kombiniert mit der Aussage, dass der Tross des Varus im „ersten“ Lager verbrannt worden sein soll und die Zivilisten des Zuges anschließend in Aliso wieder auftauchen, also nicht mehr mit den Soldaten weiter zogen … zieht Kalkriese schon wieder eine Niete. Aber darüber wird geschwiegen.
Kalkriese ist und bleibt ganz, ganz wackeliger Boden bezüglich Varus, aber das will Genreith nicht zur Kenntnis nehmen. Dann begibt sich der Vortragende auf die Suche nach dem Sommerlager des Varus. Gemäß der Marschtheorie kann es überall sein. Nach der Lagertheorie ist der Ort der Varusschlacht jedoch das Sommerlager selbst. Nun erst wird es wirklich interessant, denn Heribert Genreith schlägt einen Bogen weit mach Osten, bringt Römerfunde in Oschersleben, Magdeburg und Barby. Kennt er die Arbeiten von Friebe? Verweisen tut er darauf zumindest nicht. Das Sommerlager verortet er unter Hildesheim. Römer in Hildesheim? Das ist auch nichts Neues. Es sei zudem erinnert an die Arbeiten von Hans Dobbertin und Horst Leiermann (Gelbbuch 2). Genreith sieht den Grundriss eines Lagers mit 1 km2 Fläche unter der kompletten Hildesheimer Altstadt und verweist auf den Hildesheimer Silberschatz.
Es ergaben sich zudem ein paar interessante Hinweise, denen nachzugehen sein wird. So verweist er auf Hildesheimer Ausgrabungen, bei denen unter den mittelalterlichen Funden, römische Fundstücke auftauchen, die aber gemäß herrschender Doktrin als Nachahmungen römischer Arbeiten gelten müssen. Das erinnert fatal an die Situation in Corvey mit dem Westwerk.
Der Vortragende lässt Varus gemäß Dio vom Sommerlager in Hildesheim aus eine unspezifizierte Zahl von Tagen gegen Westen ziehen. Die Wege identifiziert er über Münzfunde, bezieht sich dabei auf Bökemeier. Auf der Knetterheide bei Bad Salzuflen kommt es dann zur ersten Begegnung in der Varusschlacht mit den Germanen. Hat er diesen Ort von Höfer? Wenn ja, hat er den Rest des Buches offensichtlich nicht gelesen. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Berechnung der gesamten Trosslänge der Varuslegionen. Genreith kommt auf 54 km! Zusätzlich berechnet er die Tagesleistung der Legionen, wenn sie Partisanenangriffen ausgesetzt sind, auf 15 km.
Auf der Suche nach dem ersten Lager des Varus schlägt er einen Bogen von 15 km um die Knetterheide und von 45 km um Kalkriese (Dio Bericht). In der Schnittmemge der Kreise fällt ihm Hiddenhausen bei Herford auf. Nun endlich sind wir beim Thema des Vortrags. GoogleEarth zeigt einen „Brandhorizont“ an einer Stelle, genannt „Auf dem Hagen“. Dieses Gebiet ist schon seit ca. 1930 archäologisch auffällig mit kaiserzeitlichen Funden. Dort finden sich Gräberfelder mit interessanten „Beigaben“, z.B. Nägel, Beschlagteile von Wagen etc. (Ravenbsberger Gruppe). Genreith vermutet hier die Verbrennung des Trosses des Varus sowie die Brandbestattung der Opfer des ersten Angriffs. Das Lager des zweiten Tages verortet er in Riemsloh bei Melle in weiteren 15 km Entfernung. Luftaufnahmen von Hiddenhausen wie auch von Riemsloh zeigen identische Spuren eines möglichen „Stabsareals“. Von Riemsloh sollen die restlichen Truppen dann nach Nordwesten über das Wiehengebirge gedrängt worden sein, um schließlich in Kalkriese zu enden.
Zurück nach Hiddenhausen folgen nun endlich Bilder von den Untersuchungen, den verwendeten Geräten und den Funden. Spannend sind die für die Römerzeit typischen Nägel, die es aber auch später in dieser Form gab. Die verschiedenen Möglichkeiten, einen Nagel herzustellen, sind leider begrenzt. Die Ähnlichkeit mit den Metallfunden am Hohlweg auf der „Großen Egge“ fällt jedoch ins Auge. Es folgen Bilder vom Goldfund und ein Ausblick auf zukünftige Aktivitäten in Hiddenhausen. Nach 3 1/2 Stunden ist es dann geschafft. Weitere Informationen finden sich auf der Homepage (Tandem Vipera) des Vortragenden, eine hinlänglich bekannte pro-Kalkriese Seite.
Es dürfte interessant sein, die Funde von Hiddenhausen im Lichte anderer Theorien (ohne Cassius Dio und die Folgen) zu betrachten. Genreith betrachtet Hiddenhausen ausschließlich im Umfeld der Varusschlacht und datiert dafür die Gräber der Ravensberger Gruppe in diese Zeit. Es geht aber auch anders und ganz ohne Varus: man belässt die Gruppe zeitlich dort, wo sie bisher datiert ist, verschiebt die Wall- und Lagerreste ebenfalls in diese Zeit, die dann auch zum Goldmünzenfund passen würden. Seit den Funden von Kahlefeld sind römische Operationen im 3./4. Jahrhundert in dieser Gegend kein Tabuthema mehr.
Man darf auf weitere interessante Funde in Hiddenhausen gespannt sein.