von Andreas Otte
aus Zeitensprünge 2/2009
Im Folgenden wird neben einer knappen Ausstellungsbesprechung stichwortartig Hintergrundmaterial zum Thema römische Feldzüge in Nordgermanien, besonders der Varusschlacht, geliefert.
2000 Jahre Varusschlacht – Imperium Konflikt Mythos
Die Ausstellung ist auf drei Standorte aufgeteilt: Haltern (Imperium), Kalkriese (Konflikt) und Detmold (Mythos). In Haltern findet sich die Ausstellung nicht, wie man vielleicht erwartet hätte, im LWL-Römermuseum, sondern in der Seestadthalle. Die Halle bietet viel Platz, der gut genutzt wurde. Die Ausstellung in Haltern hat zwei Schwerpunkte, die gut miteinander kombiniert wurden. Der eine ist die Entwicklung des Imperiums, der andere die Lebensgeschichte von P. Quintilius Varus. So erfährt man z.B., dass Varus beim Alpenfeldzug als Legat der 19. Legion anno -15 in Germanien auch einmal gesiegt hat.
Die Ausstellung in Haltern ist äußerst gelungen; verglichen damit ist Kalkriese eine Enttäuschung. Im Obergeschoss des neu gebauten Empfangsgebäudes finden sich in einem einzelnen Raum, dessen Fläche durch Einbauten vergrößert wurde, Gegenstände aus ganz Europa, die dem 1.-6. Jh. und dem Thema „Konflikt“, also Waffen, Ausrüstungsgegenstände, Plünderungsgut, Grabfunde etc. zuzuordnen sind. Nur die Varusschlacht glänzt mit Abwesenheit.
Aber da ist ja noch die eigentliche Kalkrieser Dauerausstellung, die für 2009 vollständig überarbeitet worden ist. Überraschender Weise sind die erklärenden Texte der Ausstellung jedoch komplett ‘weichgespült‘, kein Vergleich mit Vorträgen und Beiträgen früherer Jahre, die einen zwingenden Bezug zwischen dem Fundort Kalkriese und der Varusschlacht hergestellt haben. In der ‘Indizien‘-Ecke dann tatsächlich Münzen, Knochen, usw. Nur wenige der über 6.000 Funde werden tatsächlich auch gezeigt. Bleibt noch die Begehung des Außengeländes: Auf Metallplatten im Boden, die den Weg der Römer darstellen sollen, finden sich antike Texte, Stangen zeigen den teilweise ergrabenen, teilweise vermuteten Verlauf des seitlichen Walls. An anderen Stellen ist der so genannte germanische Wall rekonstruiert, Markierungen zeigen die Fundorte der wichtigsten Funde, z.B. der eisernen Maske. Dann ist der Weg durch eine neue Grabungsfläche unterbrochen, auch im angrenzenden Wald finden sich weitere Absperrungen von aktuellen Ausgrabungen. Man hat fast den Eindruck, die einzigen definitiven Aussagen zur Identifikation von Kalkriese mit der Varusschlacht finden sich nur noch auf den Straßenschildern der Umgebung.
Die Mythos-Ausstellung in der umgebauten Zehntscheune des Lippischen Landesmuseums zu Detmold war dagegen eine positive Überraschung. Wer die „Rezeptions-Abteilung“ der Canossa-Ausstellung in Paderborn ‘genossen‘ hat, der konnte hier nur mit gemischten Gefühlen antreten. Aber: eine schöne Ausstellung zum Germanen-Thema mit Fundstücken aller Art sowie Teilen des Hildesheimer Silberschatzes bildet ein gelungenes Gegengewicht zu den unvermeidlichen Folianten, Gemälden, Büchern, Theaterstücken der späteren Zeit. Auffällig ist das Bemühen, die Folianten als Abschriften mit den passenden Jahrhunderten (≥ 15.) zu deklarieren. Nur einmal findet sich bei einer Germania-Ausgabe die Unterschrift „9./15. Jahrhundert“.
Insgesamt ist die dreigeteilte Ausstellung sehenswert. Interessant: Sowohl in Detmold als auch in Haltern gaben offizielle Museumsführer durchaus kritische Kommentare zu Kalkriese und der Varusschlacht.
Frühere Besucher der Kalkrieser-Dauerausstellung können vielleicht mehr zu den Unterschieden damals und heute sagen; mangels Vergleichsmöglichkeit kann hier nur der aktuelle Stand dargestellt werden.
Aus der Literatur bekannte größere Schlachten der Römer in Nordgermanien
+9 Varusschlacht/-katastrophe
(Totalverlust für die Römer, 17., 18. und 19. Legion, nie wieder neu aufgestellt)
+15 Schlacht an den pontes longi
(Unentschieden, 1., 5., 20. und 21. Legion)
+16 Schlacht auf Idistaviso
(Sieg der Römer, 1., 2., 5., 13., 15., 16, 20. und 21. Legion)
+16 Schlacht am Angrivarierwall
(Sieg der Römer, 1., 2., 5., 13., 15., 16, 20. und 21. Legion)
Die bei Tacitus als Siege der Römer deklarierten Schlachten des Jahres +16 sind wahrscheinlich nicht so positiv für die Römer verlaufen, denn
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Warum haben sich die Römer danach aus Germanien zurückgezogen?
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Wieso gab es überhaupt noch die Schlacht am Angrivarierwall, wenn schon bei Idistaviso fast alle germanischen Kämpfer getötet worden sein sollen?
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Wieso konnten schon ein Jahr später die Cherusker erneut mit zehntausenden Mann gegen die Markomannen kämpfen?
Aktuelle römische Schlachtfeldfunde
Kalkrieser-Niewedder Senke (Bramsche, Niedersachsen): Auf 25 km gegabelter Wegstrecke finden sich römische Gegenstände. An einer Stelle deuten diese darauf hin, dass in spätaugusteischer oder frühtiberischer Zeit von einem Tross begleitete Römische Legionen in Kampfhandlungen mit Germanen verwickelt waren. Eine Datierung über Münzen, die eine Entscheidung zwischen +9 und +15/16 erlaubt, ist sehr umstritten und wahrscheinlich nicht möglich. [Lippek 2008]
Kalefeld-Wiershausen (Westharz, Niedersachsen): Auf einer Fläche von 2,0 x 0,5 km (Stand April 2009) finden sich Spuren eines Gefechts zwischen Germanen und Römern zu Anfang des +3. Jh. Die Datierung erfolgt über Münzen. Es besteht kein Zusammenhang mit der Varusschlacht, jedoch ist die Frage interessant, wer hier im 3. Jh. so weit im Osten römische Interessen vertrat.
Historische Berichte über Schlachtfeldfunde
Mehrere Schriftstellern des 16. und 17. Jh. (Hamelmann, Pideritius, Wasserbach) berichten unabhängig voneinander, dass im Fürstentum Lippe (Nordrhein-Westfalen) bei Urbarmachung von Bodenflächen verschiedene Römermünzen – teils goldene, teils silberne – gefunden worden sind mit den Geprägen von Julius (Cäsar), Augustus, Agrippa u.a., und zwar in Gemeinschaft mit Waffenresten und Menschenknochen. Diese Funde sind heute verloren, Chancen auf neue Funde in der Region hätte man nur auf noch nie beackertem Gemeindeland, welches sehr selten geworden ist. [Höfer 1888]
Quellen zur Varusschlacht
Velleius Paterculus, Kompendium der Römischen Geschichte (Zeitgenosse, kein Augenzeuge)
Frontinus, Kriegslisten (ca. 84-88)
Tacitus, Annalen I-VI (115-117)
Florus, Römische Geschichte (ca. 120)
Cassius Dio, Römische Geschichte (ca. 220).
Die Beschreibung des Cassius Dio ist die jüngste; laut Höfers Untersuchungen [Höfer 1888] ist sie inkompatibel mit den anderen Beschreibungen. Das Bild einer marschierenden Truppe, die über mehrere Tage angegriffen wird, zeigt sich nur bei Dio; bei den anderen Texten kann man eher eine im Lager beginnende Schlacht ausmachen (die sog. Lagertheorie), in deren Verlauf flüchtende Truppenreste niedergemacht wurden, bzw. sich ergeben haben. Ein Tross war danach nicht beteiligt, bzw. hat sich im Laufe der Schlacht nicht bewegt.
Der Ort der Varusschlacht
Es gibt ca. 700 Theorien zum Ort der Varusschlacht. Die Bandbreite reicht von Holland bis zum Harz. Es lassen sich aber zumindest vier Hauptgruppen bilden:
- Nord-Theorie: Nordrand des Wiehen- und Wesergebirges (z.B. Kalkriese, Barenau),
- Lippe-Theorie: nördlich (Werre) und südlich (Senne) des Osning (Teutoburger Wald),
- Münsterländer-Theorie: bei Beckum oder knapp östlich davon,
- Süd-Theorie: Bergland südöstlich der Münsterländer Bucht.
Höfers Verortungen sind im Bereich der Lippe-Theorien einzuordnen. In Kalkriese liegen unzweifelhaft Funde einer Schlacht zwischen Römern und Germanen vor. Davon hat es in der großräumigen Region aber mindestens vier gegeben, von denen uns berichtet wird. Die Festlegung nur sechs Wochen nach Grabungsbeginn auf die Varusschlacht (Zeitungsbericht) war weder damals, noch ist sie heute (nach über 20 Jahren) durch die Funde gedeckt und kann nur als unseriös in jeder Form bezeichnet werden. Da sich die Verantwortlichen aber ‘aus dem Fenster gelehnt hatten‘, bestand nunmehr der Zwang, alles in diesem Kontext zu betrachten, um nicht das Gesicht zu verlieren.
In den letzten Monaten ist jedoch in den Zeitungen ein merkliches Zurückrudern der Verantwortlichen zu beobachten, das aber im Katalog zur Ausstellung 2000 Jahre Varusschlacht sowie im neuen Katalog der Kalkrieser-Dauerausstellung Varusschlacht im Osnabrücker Land nur bedingt spürbar wird. Da ist z.B. der unvermeidliche Frank Berger, der von Anfang an mit seiner numismatischen Analyse als Kronzeuge für Kalkriese herhalten musste. Er bleibt auch im neuen Katalog bei seiner Aussage, dass es sich nur um Münzen handeln könne, die im Jahr 9 bei der Varusschlacht verloren worden sind [GmbH 2009a, 140-151]. Mit Kenntnis der kritischen Literatur [z.B. Wolters 2009, Schoppe] zum Thema lässt sich hierzu Folgendes bemerken:
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Die Strecke von Bramsche bis Minden entlang des Wiehengebirges und weiter nach Magdeburg ist Teil einer stark genutzten Handelsstraße (Hellweg) gewesen. Viele der Münzfunde in der Region sind viel früher und unabhängig von den Schlachtfeldfunden gemacht worden (Barenau); es kann sich ebenso um römisches Geld im Besitz von Germanen handeln, die mit durchziehenden Händlern und Truppen Geschäfte gemacht haben [Höfer 1888]. Germanische Siedlungen in großer Nähe zum Kampfplatz sind inzwischen nachgewiesen worden. Die Münzfunde sind damit nicht mehr eindeutig einer Schlacht zuzuordnen; es besteht die Gefahr der Vermischung. Auch Joachim Harnecker warnt in seinem Beitrag Kalkriese war kein germanischer Urwald [GmbH 2009a, 88-91] vor dieser Gefahr.
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Die ausgewerteten Münzfunde sind entgegen der Aussagen des untersuchenden Wissenschaftlers (Frank Berger) nicht eindeutig einem Ereignis im Jahr +9 zuzuordnen [Lippek 2008]. Das Fehlen eines Bronze-Münztyps, von dem nicht einmal nachgewiesen ist, dass er um +15 im freien Germanien vorhanden war, kann kaum als Beweis gelten. Es ist bisher unklar, ob die Germanicus-Zeit sich überhaupt in Münzen im freien Germanien niedergeschlagen hat. Nur etwa 0 – 2 % neues römisches Geld soll nach +9 noch in Umlauf gekommen sein [Schoppe], auch von daher ist das Nichtvorkommen späterer Typen für eine Beweisführung insignifikant. Und die von Berger weitgehend ignorierten Silbermünzen (das Hauptzahlungsmittel für den Legionärssold) erlauben ein differenzierteres Bild in der Datierungsfrage [Lippek 2008].
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In der Gegend wurde sog. Legionsgeld gefunden, d.h. Geld, welches mit Legionskennungen versehen wurde. Dieses Geld wurde auch zwischen den Legionen getauscht, ist also in einer gewissen Verteilung an Fundstellen zu erwarten. Warum aber ausgerechnet in Kalkriese der Anteil der Varus-Legionen (17.-19.) am Legionsgeld der geringste ist (ganz anders in Haltern), müsste den Vertretern der Kalkriese-Varus-Hypothese Kopfzerbrechen bereiten.
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Neben dem Legionsgeld gibt es mindestens ein weiteres Fundstück mit einer Legionskennzeichnung. Es ist das Mundblech einer Schwertscheide, das eine Besitzer-Ritzinschrift mit der Abkürzung „LPA“ trägt. Die Inschrift kann als L(egio) P(rima) A(ugusta) gelesen werden, also als 1. Legion. Diese war mit Sicherheit an den Kämpfen der Jahre 15/ 16 beteiligt. Zwar besuchte die 1. Legion im Jahr +15 auch das Varusschlachtfeld, aber warum finden sich keine Objekte mit Legionskennzeichen der 17. – 19. Legion?
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Es gibt in Kalkriese direkt am Kampfplatz praktisch keine germanischen Waffenfunde. Hier kämpften offenbar Römer gegen Germanen mit römischen Waffen. Woher kamen diese Waffen? Für eine Schlacht nach +9 wäre dies einfach zu beantworten, aber davor?
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Bei Kalkriese wurde ein Wall (einschl. Gräben) mit Kampfspuren gefunden. Von Kämpfen an einem Wall wird im Zusammenhang mit der Varusschlacht nicht berichtet, wohl aber bei der Caecina-Schlacht und bei der Schlacht am Angrivarierwall. Überhaupt muss man die Frage stellen, wie viel Schlachtfeld eigentlich in Kalkriese gefunden wurde. So schreibt Joachim Harnecker als Archäologe im Kalkriese-Team 2004:
„Wurden die Suchgrabungen mit viel Enthusiasmus begonnen, folgte die Ernüchterung bereits in der ersten Grabungskampagne […] Insgesamt haben […] die Suchgrabungen aus Varusschlacht-orientierter Sicht wenig zur Klärung der Ereignisse in augusteischer Zeit außerhalb des Oberesch beitragen können […] Eine gezielte Suche nach Spuren der Kampfhandlungen hat sich als unmöglich erwiesen und eine so verstandene Schlachtfeld-Archäologie ist eine Fiktion […] Der Oberesch [dort liegt der 400 Meter lange Wall; AO], der ja auch kein klassisches Schlachtfeld ist, stellt im Gesamtkomplex Kalkriese bislang einen Sonderfall dar, da hier Fundmaterial zumindest teilweise bei Kampfhandlungen in den Boden gelangt sein dürfte“ [Harnecker, 123].
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In Kalkriese wurden einige wenige tierische und menschliche Knochenfunde in Gruben gemacht, offensichtlich erst begraben, nachdem die Überreste einige Zeit an der Oberfläche gelegen hatten. Außer der Tatsache einer Nachbestattung entspricht weder die Form (ein großer, allerdings zerstörter Tumulus gegenüber einzelnen kleinen Gruben) noch die Anzahl der Leichenfunde in irgendeiner Form den historischen Berichten. Eine genaue Datierung der Knochenfunde, die eine Unterscheidung zwischen +9 und 15/16 erlaubt, ist nicht möglich.
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Unter Berücksichtigung der Lagertheorie zur Varusschlacht sind Trossfunde außerhalb oder in der Nähe eines Lagers nicht zu erwarten. Kalkrieser Trossfunde sprechen daher unter dieser Annahme eher gegen einen Zusammenhang mit der Varusschlacht. Folgt man dagegen dem Dio-Text, der Marsch-These in unwegsamen Gebiet, so passt sie nicht zu der Tatsache, dass man sich in Kalkriese auf oder direkt neben einem Hellweg befand.
Zusammengefasst lässt sich sagen: Betrachtet man nur die archäologische Evidenz, so ist bisher kein direkter Zusammenhang zwischen den Funden von Kalkriese und der Varusschlacht herstellbar. Die Berücksichtigung der Quellen ermöglicht zumindest einen Zusammenhang der Funde mit den Germanicusfeldzügen, während sie einen Zusammenhang mit der Varusschlacht praktisch ausschließt.
Literatur
GmbH 2009a = Varusschlacht im Osnabrücker Land GmbH (Hg., 2009a): Varusschlacht im Osnabrücker Land; Mainz
GmbH 2009b = Varusschlacht im Osnabrücker Land GmbH (Hg., 2009b): 2000 Jahre Varusschlacht – Konflikt; Stuttgart
Höfer, Paul (1888): Die Varusschlacht, ihr Verlauf und ihr Schauplatz; Leipzig (2. Ausgabe 2009)
Harnecker, Joachim / Tolksdorf-Liebemann, Eva (2004): Kalkriese 2, Sondierungen in der Kalkrieser – Niewedder Senke; Mainz
Landesverband Lippe (Hg., 2009): 2000 Jahre Varusschlacht – Mythos; Stuttgart
Lippek, Wolfgang (2008): Inhaltliche Strukturanalyse der Denarkomplexe von Kalkriese und Haltern – Widerlegung der „Kalkrieser These“ zum Ort der Varusschlacht; in Die Schlacht – Plausible Gründe zur Varuskatastrophe in Ostwestfalen-Lippe; Bielefeld
LWL-Römermuseum in Haltern am See (Hg., 2009): 2000 Jahre Varusschlacht – Imperium; Stuttgart
Schoppe, Siegfried G. (2006): Varus fand sein Ende im Lippischen Wald. Eine Streitschrift wider die Kalkrieser Hypothese; http://www.arminius-varusschlacht.de/varus-kalkriese.pdf
Wolters, Reinhard (²2009): Die Schlacht im Teutoburger Wald; München
[…] Andreas Otte: Varianische Variationen […]