von Horst Leiermann
Ich hatte mir das so schön ausgedacht.
2009, zum 2000-Jahres Jubiläum der Hermannsschlacht ein Interview mit Hermann, das schien auch alles zu klappen. Ich bekam von Hermanns Vorzimmer einen Termin, von Oerlinghausen eine Kuriermaschine nach Walhall und wurde dort gleich von einem schneidigen Ordonanz-Offizier empfangen.
Denn Sekretärinnen hatte Tusnelda verboten, seit sie einmal Hermann mit einer Sekretärin auf dem Schoss erwischt hatte. Und dass Hermann, vor allem wenn er etwas getrunken hatte, zu Übergriffen neigt, wusste sie aus eigener Erfahrung.
Der Offizier ließ sich von mir die Ausweispapiere zeigen und als ich, etwas überrascht über die Formalitäten, fragte, ob ich jetzt auch noch eine Leibesvisitation nach Waffen über mich ergehen lassen müsste, winkte er ab.
Hier in Walhall sind wir unsterblich erklärte er, da kann nichts mehr passieren. Er holte einen Fragebogen, Alter, Beruf, Adresse und er war ganz leutselig bis er auf das Wort „Lippe“ in meiner Adresse stieß, da wurde er erst einmal etwas komisch.
Aus Lippe, fragte er. Ich nickte.
Schon schlecht! Und dann ging es los: Was wir uns eigentlich dächten?
Ob wir uns denn nicht schämten jetzt hier auch noch bei Hermann anzuklopfen?
Wieso, sagte ich. Wo wir doch Hermann das Riesendenkmal gebaut haben.
Vor 150 Jahren, gut und schön, da hätten wir hier antanzen können. Aber heute?
Nichts hätten wir zur Hermannschlacht zu bieten.
Da sollten wir uns doch erst einmal ein Beispiel an Niedersachsen nehmen. Kalkriese.
Da sei die Schlacht zwar nicht gewesen, aber was die daraus gemacht hätten. Ein Riesenmuseum.
Und wir?
Wir haben doch keine Funde stotterte ich …
Keine Funde? Die Römische Urne in Lügde!
Da liegt doch ein Germane begraben. Der hat sich die Urne von einer Reise an den Rhein mitgebracht.
Der Offizier grinste.
Schon einmal einen Touristen gesehen, der sich von einer Reise einen Sarg mit nach Hause bringt?
Nein, musste ich zugeben. Aber vielleicht hat er sich die Urne im Versandhandel schicken lassen. Damals war Quelle doch noch nicht Pleite.
Der Offizier schüttelte den Kopf.
Schon mal was von dem römischen Mosaik in Corvey gesehen?
Natürlich, sagte ich. Aber Corvey liegt doch gar nicht in Lippe.
Ob ich in Lippe zur Schule gegangen sei?
Ich nickte.
Ob ich nie gehört habe, dass die Schwalenberger Grafen die Vorgänger des Hauses Lippe gewesen seien? Und außerdem noch die Vögte von Corvey.
Und ob ich eigentlich in der Schule immer geschlafen hätte?
Und wo in Lippe ich eigentlich wohnte?
In Schwalenberg murmelte ich kleinlaut.
Er holte tief Atem.
Auch das noch!
Also, sagte er. Römisches Mosaik in Corvey.
Daran ist nicht zu rütteln.
Aber das ist doch Zweitverwendung.
Zweitverwendung?
Ob ich schon mal Fliesen abgeschlagen hätte?
Habe ich, trumpfte ich auf. Ich bin Architekt, ich habe Baupraxis.
Gut, sagte der Offizier und ob ich schon jemals eine Fliese unzerbrochen vom Untergrund abgespitzt hätte?
Das nicht. Die sind immer zerbrochen. Mit eklig scharfen Kanten. Messerscharf. Die Hände haben mir geblutet. Denn damals trug man noch keine Handschuhe.
Eben, sagte der Offizier.
Und außerdem, die römische Therme in Tom Roden.
Mit PRAEFURNIUM. Das sind ortsfeste Spuren.
Immobilien.
Nicht lose Münzen oder Waffen wie in Kalkriese.
Aber, wandet ich ein. Fußbodenheizung hatten auch die Zisterzienser.
Und ein PRAEFURNIUM gehört oft zu einer Fußbodenheizung.
Der Offizier stöhnte:
l. Siedeln Zisterzienser in der Einsamkeit und nicht neben reichen Benediktinern. (Ehrlich gesagt, hatte ich das schon im Studium von Karl Gruber gelernt, aber ich hielt lieber den Mund)
2. Gibt es ein PRAEFURNIUM im Mittelalter überhaupt nicht. Damals heizte man im Kloster nur einen einzigen Raum, die Wärmestube. Und die Feuerung war im Keller, damit die Wärme im Haus blieb. Bei römischen Thermen, den Schwitzbädern für die Legionäre im Sommer bei den Vorstößen nach Germanien, waren PRAEFURNIEN sinnvoll, damit die Heizer in der Hitze nicht umkamen. Und froh waren, im Freien, von außen zu heizen.
Schon mal ein mittelalterliches PRAEFURNIUM gesehen? fragte der Offizier
Nein, musste ich zugeben.
Schon mal einen Menschen getroffen, der eines gesehen hat?
Das nicht. Aber Fachleute haben mir gesagt, sie wollten dem doch noch einmal nachgehen.
Dann viel Spaß, sagte der Offizier.
Und außerdem, die römischen Wandbilder im Westwerk in Corvey.
Das sind nur Kopien, trumpfte ich auf.
Ganz hohe Fachleute haben das gesagt. Mit Titeln und so.
Nackte Eroten? Im Kloster? fragte der Offizier.
Na ja, meinte ich, Mönche, ganz ohne Frauen da hört man doch so allerlei.
So so, sagte der Offizier, ein nackter junger Mann mit einem glitschigen Delphin zwischen die Schenkel gepresst – und eine heidnische Dame oben ohne.
Mönche sind auch Männer, wandte ich ein.
Und ohne Freundin und nach einigen Glas Wein…
Langsam, langsam, sagte der Offizier.
Wir sind ja erwachsen…
Und wir früher hatten auch unsere Tussis. Und die waren gar nicht zickig.
Aber so schöne Nacktheit konnten wir damals nicht an die Wand malen.
Wir haben sie uns damals ganz genau angesehen.
Und uns von den Überlebenden der 3 Legionen des Varus ganz genau erklären lassen. Die ganze Geschichte mit Amor. Und der Schaumgeburt der Venus, das Wasser ist uns im Munde zusammen gelaufen.
Zugegeben, wir hatten ja auch so unsere gewagten Sagen. Wie Brunhilde ihren Gunter in der Hochzeitsnacht gebunden hat und an einem Nagel aufgehangen, weil sie partout den Siegfried haben wollte. Der dann auch, im Schutze der Tarnkappe dem Gunter beispringen musste.
Aber malen konnten wir die Geschichten nicht.
Und das fromme Mönche sich solche Sachen mit heidnischen barbusigen Damen in Ihre Kirche gemalt hätten? Wenn schon dann heimlich. Irgendwo in einem dunklen Winkel.
Und ob ich eigentlich einmal die Benediktiner gefragt hätte, ob die das gemalt hätten?
Habe ich, sagte ich, aber die sagen, sie waren das nicht.
Also, sagte der Offizier, und jetzt will ich Ihnen einmal etwas sagen.
Dass Lippe nichts römisches 2009 zu bieten hat, ist schon schlimm genug.
Aber dass sie dann auch noch ein Ausstellung über den Mythos der Hermannsschlacht aufmachen, da wäre dem Hermann der Kragen geplatzt.
Mythos? Märchen? hätte er gedröhnt und seinen 10 Liter-Humpen voll Detmolder Pils so auf den Tisch gehauen, dass er zerbrach und die Brühe über Tisch und Boden lief und 21 Mann seiner Leibgarde die Schweinerei schnell aufwischten, weil Thusnelda in solchen Sachen ganz eklig sein kann. Mythos schrie Hermann, mein Sieg soll ein Märchen sein?
Seien sie froh, dass ich sie von Hermann fern gehalten habe.
Wenn der „Lippe“ gehört hätte, das wäre schief ausgelaufen.
Ich schwieg etwas betreten
Hören sie zu, sagte begütigend der Offizier. Es ist ja noch gar nichts passiert.
Fliegen sie erst mal wieder nach hause und machen ihre Schularbeiten.
Und dann, fügte er hinzu, können sie ja noch einmal vorsprechen.
Beim nächsten Jubiläum … in 1000 Jahren …